Zusammenfassung

Unsere Kultur oder Gesellschaft diskriminiert nicht nur Frauen, sondern generell ‘feminine’? (harmonische, vereinende, bedachte, vorsichtige, fürsorgliche, altruistische, zurückhaltende, nicht-dominante) Menschen. Sie diskriminiert außerdem auch Männer die den Männlichkeitsanforderungen nicht entsprechen, sowie Frauen die den Weiblichkeitsanforderungen nicht entsprechen. Obwohl der größte Teil der dominanten Menschen männlich ist, ist nur ein kleiner Teil aller Menschen dominant. (Siehe Grafik unten). Daher gibt es auch viele nicht-dominante Männer. Von diesen sind einige auch ‘feminin’ (harmonisch, vereinend, bedacht, vorsichtig, fürsorglich, altruistisch, zurückhaltend, klein) und erfüllen die Männlichkeitsanforderungen (stark, groß, kräftig, selbstüberzeugt) nicht. Dies ist ein doppelter Nachteil. Diese Menschen werden vom Feminismus nicht mitgedacht. Viele finden das ok, einige fühlen sich aber so ungesehen, dass auch sie sich einen Schutzraum schaffen, welche jedoch von einigen Feministen angegriffen wird.

Vorweg:

Ich habe an meiner Uni mit mehreren Professoren darüber gesprochen:

Ja, es gibt gute Gründe für Feminismus, Gendern und Gleichstellung. Hierzu folgt später ein eigener Blogbeitrag. An dieser Stelle nur eine kurze Reflektionsfrage: wie sahen sie aus, als Du obigen ersten Satz meines Beitrages “ich habe an meiner Uni mit mehreren Professoren gesprochen” gelesen hast: wie sahen die Professoren aus vor Deinem geistigem Auge und welches Geschlecht hast Du Dir vorgestellt bei den Professoren, mit denen ich gesprochen habe? Bitte sei ehrlich zu Dir selbst und überlege, was Du wirklich intuitiv als erstes gedacht hast - und nicht, was Du jetzt, während Du die Frage bereits reflektierst, denkst. Ich war immer überzeugt, dass jeder, so wie auch ich, denkt, ich hätte mit männlichen Professoren gesprochen. Darum bin ich vom Gendern überzeugt. Aber ich wuchs auch in einer Zeit auf, in der “Sehr geehrte Zuschauer” nicht mehr im Fernsehen gesagt werden durfte, sondern es “Sehr geehrte Zuschauerinnen und Zuschauer” heißen musste. Noch viel ältere Menschen, die mit “Sehr geehrte Zuschauer” aufwuchsen, versichern mir im Gespräch teilweise absolut fest überzeugt, dass sie bei meinem Satz an geschlechtsneutrale Professoren denken. Ich kann nicht in fremde Gehirne schauen. Vielleicht ist es so. Vielleicht haben Menschen aus vor-feminismus-Zeiten wirklich nicht in Geschlechtern gedacht. Wer weis das schon. Studien dazu gibts z.Bsp. hier: https://de.wikipedia … s_Maskulinum#Studien dort denken 76% der Männer wie ich…

Anmerkung: Das Wort “Feminist” wird in diesem Text nicht gegendert, da ich davon ausgehe, dass bei diesem Wort niemand ausschließlich an Männer denkt.

Eigentlich möchte ich aber beleuchten, warum das Gendern und auch der Feminismus von einigen wirklich lieben Menschen abgelehnt wird, sie triggert und sie sogar die Klimabewegung deswegen ablehnen.

Es ist klar, dafür gibt es natürlich viele potentielle Gründe, offen sichtbare, tiefer versteckte und viele mehr. Ich kann hier nur eine Möglichkeit beleuchten, und die möchte ich euch näher bringen.

Feminismus setzt sich für die Gleichstellung ein. Dies war unbedingt notwendig und total wichtig: Noch vor wenigen Jahrzehnten durften Frauen selbst in Deutschland ohne Erlaubnis des Ehemanns, quasi nichts. Wählen, Arbeiten, Autofahren usw. Es ist aus heutiger Sicht unvorstellbar, aber es war wirklich so.

Aber auch heute noch werden Frauen nicht nur in anderen Ländern, sondern auch in Deutschland weiterhin “Strukturell Diskriminiert”: Sie bekommen z.Bsp. oftmals ohne jeden Grund bei gleicher Arbeit ein niedrigeres Gehalt, werden häufiger Opfer von Verbrechen und erhalten weniger Redezeit und weniger Jobs in Führungspositionen.

Es liegt daher nahe anzunehmen, dass Frauen auch heute noch in Deutschland aufgrund ihres Geschlechts benachteiligt werden, und das möchte ich keinesfalls bezweifeln.

Oft wird aber in Frage gestellt, dass diese Benachteiligung wirklich aufgrund des Geschlechtes stattfindet. Erhalten Frauen vielleicht ein niedrigeres Gehalt, nicht weil sie einen anderen Körper haben, sondern auch weil - im Durchschnitt - Frauen weniger dominant sind als Männer? Und wenn ja, warum ist das so?

Ich vermute, viele meiner Leser werden die beiden Fragen natürlich mit “Ja” und “Wegen der Kultur, Erziehung und der Weiblichkeitsanforderungen der Gesellschaft” beantworten.

Und damit ist auch eigentlich bereits klar, warum manche Männer den Feminismus als Angriff ansehen und sich wehren:

Wir haben in der Gesellschaft natürlich 2 Gruppen:

  1. Männer
  2. Frauen

Weiterhin haben wir auch zwei andere Gruppen:

  1. dominante bzw. wortführende Menschen (stark, kräftig, groß, aktiv, selbstüberzeugt, egoistisch)
  2. harmonische bzw. arbeitende Menschen (vereinend, bedacht, vorsichtig, fürsorglich, altruistisch)

Das sind natürlich nun Extrem-Pole, natürlich haben alle Menschen von jeder dieser Eigenschaften, etwas wenig mehr oder weniger.

Schauen wir uns nun die Männlichkeits- und Weiblichkeitsanforderungen der Gesellschaft an: Welche der obigen Eigenschaften erwartet die Gesellschaft von Männern, welche von Frauen?

(kurze Lesepause zum nachdenken darüber wie Männer und wie Frauen in unserer Kultur sein sollen?)

Und nun schauen wir uns an, wie sind Menschen von Geburt an? Welche der obigen Eigenschaften haben Jungs von Geburt an, welche haben Mädchen?

Ja, Testosteron führt tatsächlich zu mehr Stärke, Größe und Egoismus. Aber es gibt kleine schwache altruistische Männer, und es gibt auch große durchsetzungsstarke Frauen.

Wenn wir nun uns eine Gruppe anschauen, so gibt es oftmals einen oder mehrere ‘Wortführende’ in einer Gruppe. Und offenbar werden eher die dominanten, selbstsicheren Menschen zu solchen Wortführenden, während viele Andere damit zufrieden sind, ihren Beitrag zu der Gruppe auf andere Weise zu leisten.

Gehen wir einmal davon aus, dass nur ca. 20% der Menschen in einer Gruppe zu den Wortführenden gehören können, dann ergibt sich also:

  • 20% der Menschen sind dominant (wortführend)
  • 80% der Menschen sind nicht-dominant (arbeitend)

Wie verteilt sich dies nun auf die Geschlechter?

Offenbar gibt es auch dominante Frauen, aber eben nicht so viele. Durch kulturelle Prägung vielleicht aber auch durch weniger Testosteron - warum ist eigentlich egal. Gehen wir mal davon aus, dass 75% der dominanten (wortführend / managend / …) Menschen männlich sind.

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Dann haben wir folgende Aufteilung:

  • 14.5% der Menschen sind dominant und männlich
  • 4.5% der Menschen sind dominant und weiblich
  • 1% der Menschen sind dominant und nichtbinär
  • 34% der Menschen sind nicht-dominant und männlich
  • 44% der Menschen sind nicht-dominant und weiblich
  • 2% der Menschen sind nicht-dominant und nichtbinär

Damit wird klar: Ja, Frauen haben mega viele Nachteile, weil sie in der dominanten / Wortführungs-Gruppe stark unterrepräsentiert sind. Aber sie sind nicht die einzigen Menschen, die dort nicht repräsentiert werden: auch die meisten Männer sind dort nicht repräsentiert.

Nun gibt es aber einen zentralen Unterschied zwischen den 44% der Menschen (weiblich), die in der dominanten / Wortführungsgruppe nicht repräsentiert sind, und den anderen 34% (männlich), die auch nicht-dominant sind:

  • kleine, harmonieschaffende, fürsorgliche Frauen (44% der Menschen) entsprechen den Weiblichkeits-Anforderungen, und haben eine Lobby (die sich für Gleichstellung einsetzt, Frauenhäuser schafft, usw.)
  • kleine, harmonieschaffende, fürsorgliche Männer (34% der Menschen) hingegen, entsprechen NICHT den Männlichkeitsanforderungen: Je weniger stark, selbstbewusst, dominant, groß sie sind, desto mehr werden sie deswegen von Männern wie von Frauen kritisiert oder ignoriert (denn beide Gruppen erwarten von ihnen, dass sie den Männlichkeitsanforderungen entsprechen) - aber sie haben keine Lobby: es gibt keine Jungenheime mehr, unter anderem weil niemand für so etwas spenden wollte.

Ja, das ist überspitzt dargestellt. In Wahrheit gibt es nicht nur diese 4 bis 6 Gruppen von Menschen. Die Übergänge zwischen männlich und weiblich, sowie zwischen dominant und nicht-dominant, sind fließend. Deswegen hatte ich die Grafik auch zunächst mit nur 2 Geschlechtern erstellt: die sind ohnehin nur Extrempole. Und selbst die kleinsten Männer werden nicht von allen anderen ignoriert. Aber das werden die kleinen Frauen auch nicht. Sie werden tendentiell häufiger übersehen und ignoriert. Und ja, natürlich finden viele dieser Männer irgendwann auch ihre ‘Lobby’, z.Bsp. der Stammtisch oder der Sportverein.

Ich möchte hier auch nicht in Abrede stellen, dass es trotzdem ein struktureller Vorteil sein kann, einfach nur das männliche Geschlecht zu haben: Denn nur deswegen erhält selbst ein kleiner, durchsetzungsschwacher Mann oft ein besseres Gehaltsangebot, einfach nur weil der Arbeitgeber halt denkt “oh das ist ein Mann, der wird bestimmt mehr Geld verlangen”.

Natürlich ist das so. Aber darum geht es hier nicht: Ich möchte nur aufzeigen, warum manche Männer eben irgendwann antifeministisch werden. (Außerdem macht Geld allein nicht glücklich).

Wenn wir uns nun also einen besonders kleinen, harmonischaffenden, fürsorglichen und altruistischen Mann ansehen: da er aufgrund ihres Geschlechtes die obengenannten Vorteile hat (und das auch weis, und eben fürsorglich und altruistisch ist), hat er sich angewöhnt den Frauen häufig den Vortritt zu lassen (denkt er jedenfalls. Es geht an dieser Stelle nicht darum, ob das, was er denkt, stimmt, sondern nur darum, zu verstehen, wo Antifeminismus herkommt).

Und nun kommen Feministen [Fußnote 1)], und fangen an, ihm zu erklären, wie viele Vorteile er doch hat: (er, der wie gesagt aufgrund seiner nicht-erfüllung der Männlichkeitsanforderungen sowohl von Männern als auch von Frauen immer schon auf Distanz gehalten wurde, in eine Rolle gezwungen wurde die er nicht mag usw.). Erkären ihm, dass er reflektieren muss, wann er Frauen diskriminiert hat (er, der schon immer versucht hat, Frauen den Vortritt zu lassen, sich zurückzunehmen usw). Und wenn er danach berichtet, wie er sich bevormundet, nicht-gehört und mit anderen über einen Kamm gescheert fühlt, dann sagen sie nur “siehst Du, so ist das” (zu ihm, der als kleiner und als nicht den Männlichkeitsanforderungen entsprechender Mensch schon sein Leben lang diese Situationen immer wieder erlebte und sich genau deswegen schon immer darum bemühte, dass andere so was nicht erleben müssen).

Ja, vielleicht fühlt sich das für die Feministen alles gut und richtig an. Das ist ja ok. Aber genau so entstehen sie, die Antifeministen. Nein, die kamen nicht böse zur Welt. Die wurden bloß desillusioniert.

Aber das traurige darin ist: diese Menschen, sind eigentlich ja die, die auf der Seite der Feministen waren und gerne wären.

Die Dominanten und Wortführenden hingegen, die werden nicht zum Antifeminist. Erstens, hören sie den Feministen gar nicht erst zu. Und zweitens: Wenn sie ihnen doch mal zuhören, denken sie sich “Stimmt. Ich habe ja wirklich schon Frauen unterdrückt. Ich sollte mich für Frauenrechte einsetzen.”, und beginnen damit, den 35% nicht-dominanten Männern zu erklären, was für schlechte Menschen die sind. Glaubt ihr nicht? Dann schaut euch die Gruppendynamiken mal genau an. [Fußnote 1)]

Bis hier her, war das keine Meinung, auch wenn Du es vielleicht so siehst. Ich habe nur versucht, zu erklären, wer warum wie fühlt, denkt und handelt.

Dies ist kein Aufruf, irgendwas zu ändern. Vielleicht findest Du, alles ist gut so, wie es ist. Das ist vollkommen ok. Man kann es nicht allen recht machen. Man muss nur mit den Konsequenzen des “nicht-recht-machens” klarkommen.

Meine Meinung dazu ist:

Es ist nicht unbedingt geschickt, so starke Fronten zwischen den Geschlechtern aufzubauen. Im Gegenteil: Die immerwährende Behauptung, alle Männer seien stark, dominant und egoistisch und sollten deswegen ihre starke Position nutzen, um zu Verzichten und sich zurückzunehmen, verstärkt die aktuelle Kultur, in der Männern anerzogen wird, stark, dominant und egoistisch zu sein und in der Frauen anerzogen wird, fürsorglich und altruistisch und zurückhaltend zu sein.

Diese Kultur sollte nicht gefördert werden, stattdessen sollten alle Menschen so sein dürfen, wie sie wollen und wie sie es gut finden. Unabhängig von ihrem Geschlecht.

Die Männlichkeitsanforderungen und Weiblichkeitsanforderungen zu ändern und zu reduzieren - könnte ein gemeinsames Ziel von Frauen und nicht-dominanten Männern sein. Diese Anforderungen werden nicht von Männern definiert. Diese Kultur wird von allen Menschen reproduziert. Wer Kinder erzieht, hat besonders viel Einfluss.

Es gibt übrigens auch eine Bewegung, die sich dafür einsetzt: Der Equalismus. Die Bewegung wird allerdings keinen Erfolg haben, denn sie wird von beiden angefeindet: Sowohl von Feministen, als auch von Antifeministen.

Ist “Kampf” wirklich so viel besser als “Liebe”?


Fußnote 1)Teile des Blog-Artikels basieren auf persönlichen Erfahrungen mit einer toxisch-männlich geprägten pro-feministischen Männer-Gruppe.

Meine konkreten persönlichen Erfahrungen durch die Diskriminierung als der ‘Klassenkleinste’, der ohne Männlichkeitsanforderungen erzogen und dann in eine vom Patriarchat geprägte und selbiges doch oberflächlich kritisierende Schulklasse geworfen wurde - sowie Jahrzehnte später mit ähnlich selbstüberzeugten feministischen jungen wie alten Menschen: Die schreibe ich besser in einem andrem Beitrag einmal auf.

Einen geschlechtsspezifischen Unterschied konnte ich jedoch feststellen: Die oben beschriebenen Zusammenhänge wurden bisher ausschließlich von männlichen Feministen in Frage gestellt. Eine Feministin hat zwar auch einmal reagiert mit: “Ist das ein ‘durch Feminismus werden Männer benachteiligt’-mimimi oder verstehe ich das falsch?“. Schöner hätte man kaum bestätigen können, dass Feminismus Männlichkeitsanforderungen reproduziert und jede Form von Schwäche bei Männern kritisiert. Aber letztlich hat sie mir auch zugestanden, diese Schwäche zeigen zu dürfen - ein Zugeständnis, dass in der toxisch männlichen profeminismus-Gruppe nicht drin ist. Und ich habe da auch eine Vermutung, warum (letzter Absatz).